Diese kleine alte Geschichte habe ich mal für einen Poetry Slam geschrieben an dem ich nie teilgenommen habe… Ich wollte sie euch nicht vorenthalten, obwohl man sie eigentlich Sonntags lesen muss. Oh ja, before ich es vergesse: Kategorie M, recommended for mature audiences only.
Katertag
Heute ist Katertag. Der heiligste aller Feiertage. Da dulde ich keine Störung. Von niemandem. Katertag ist fast immer Sonntag. Vermutlich einer dieser heidnischen Bräuche, den die Kirche irgendwann christianisiert hat, weil er sich nicht abschaffen ließ. Selbst den christlichsten Wikinger kann man nicht von seinen Opfertrünken abhalten. Saufen ist irgendwie doch eine Tugend, zumindest war es das bei den Wikingern bestimmt. Die Christen haben den Katertag der Wikinger dann zu Buß- und Bettag gemacht, das weiß heut nur keiner mehr. Vor allem das Büßen ist von höchster Priorität. Die Tradition des Katertages ist fast so alt wie Menschheitsgeschichte selbst, ein Initiationsritual, das durch Leid und Schmerz zu neuen Einsichten führen soll. Oder so.
Ich hab heute Katertag. Mein Körper ist völlig taub, die Blase drückt mir aufs Gehirn, und meine Augen weigern sich, sich zu öffnen und dem Tag ins Gesicht zu blicken. Ich versuche es, aber ich bin blind, blinzle durch zwei zusammengepappte Schlitze. Im Geiste höre ich meinen alten Kumpel Manni väterlich und mitfühlend fragen: „Na, Augen noch ganz verklebt?“ Jaa…“Na, musste dich schneller wegdrehen, passiert sowas nicht…“ Etwas Schmieriges schmiegt sich an meine Wange. Oh mein Gott, was….ich bin doch allein, oder? …Meine Hände tasten sich an meinem verquollenen Gesicht vorbei über das Bettlaken. Der Übeltäter ist nicht männlich, sondern eine einsame Bratkartoffel, die, letzte Nacht übersehen und verschmäht, nur ein wenig Nähe suchte, und noch herrlich nach Knoblauch und Maggi duftet. Großzügig stecke ich sie mir in den Mund. Jetzt ist auch egal. Dort trifft sie den Iltis und den Thunfisch, die sich dort unhöflicherweise gepaart haben. Mein Mund ist eine Opiumhöhle. Fickende Viehcher, die ihre üblen Balzdünste absondern, kleine Pelzgnome, die Nachts kommen und es sich auf der Zunge bequem machen, eine einsame Bratkartoffel, die ich nur aus Mitleid eingeladen habe, die aber ohne zu fragen gleich noch ein paar flotte Flusen mitbringen muss…
Ich greife nach der Wasserflasche. Das Gute alte Mephisto. Das hatten die alten Wikinger nicht. Genau so wenig wie Aspirin. Aber Katerkopfweh ist Ehrenkopfweh. Weicheier, die bei einem Kater Aspirin schlucken, verdienen kein einziges Bier. Ich leide ehrlich, wie die alten Wikinger und die Christen bei ihrem Buß- und Bettag.
Im Gegensatz zum Buß- und Bettag kann der Katertag bedenkenlos und nach Bedarf von Personen ab 18 bzw., 21 Jahren mehrmals im Jahr durchgeführt werden. Die reinigende Wirkung auf Körper und Seele läßt allerdings bei häufiger Anwendung leider nach. Heutzutage gibt es zum Glück kleine Zahlen auf den Flaschen, die einem sagen, wie viel man büßen wird. Bier hat ungefähr 4,5 Bußeinheiten, wobei es da Unterschiede gibt. Kölsch hat zum Beispiel 4,2 , Grimbergen dagegen 7,9. Ich habe Ron getrunken. Spanischer Likör. 56 Bußeinheiten. Aber ich werde gar nicht erst anfangen, über den gestrigen Abend nachzudenken. Jeder weiss, was einen nach einem solchen Abend quält. Nicht nachdenken. Es quält mich trotzdem. Ich hab wieder gesungen. Das Lied mit dem Haar in der Spargelcremesuppe. Immerhin bin ich angezogen geblieben, oder? Man wird mir verzeihen, hoffe ich.
Ich wanke zum Klo. Starre in den Spiegel. Ein Zeittor hat sich geöffnet, mir gegenüber steht ein Wikinger. Ich weigere mich, ihn zu waschen, aber ich bin ihm gern beim Pinkeln behilflich. Als mir der warme Strahl am Bein herunterläuft, wundere ich mich, warum der Wikinger nicht im Stehen pissen kann. Kerle. Ich setze mich. Meine Psychiotherapeutin hat mir geraten, an meinen Identitätsproblemen zu arbeiten. Gekotzt hab ich wohl auch, stelle ich fest, als ich die angetrockneten Reste auf dem Spülkasten mit unpersönlicher Distanz begutachte. Es klingelt das Telefon. Der Ton bohrt sich schrill in meinen Kopf, ein Vorschlaghammer dröhnt mit dem fröhlichen, pulsierenden Rhythmus eines irischen Volksliedes in meinem Schädel. Ich falle rückwärts vom Klo und krieche in den Flur. Ich muss rangehen, bevor mein Kopf platzt. Meine Augen treten hervor, meine Adern schwellen dick an, gleich werde ich sterben, von einem Telefon zu Tode gemartet. Das hätten sich die alten Chinesen mal statt ihrer Wasserfolter einfallen lassen können. Meine Schwester brüllt ins Telefon, hysterisch. Oh mein Gott, es muss was passiert sein.
„Ähhhhhhh…“ Es ist der erste Laut, den ich heute von mir gebe, und ich fühle mich, als hätte mich eine Urkreatur gerade erst in die Welt gekotzt.
Sie kreischt, ihre Stimme schraubt sich immer höher. Ich höre nur Wortfetzen, es geht um Muttern, und es ist dringend.
„W…w…was is passiert?“ presse ich in den Hörer.
„Nichts ist passiert, aber wir müssen uns langsam mal darum kümmern, dass…“
„Äh Saskia…es ist halb elf morgens.“
Da ist doch mal alles klar bei dem Satz, oder?
„Oh hab ich dich geweckt?“
„Äh, nein aber…“
„Ja, was hältst du denn von der Idee?“
„Ich halte grad das Telefon, und damit bin ich schon völlig überfordert.“
„Das ist übermorgen, vielleicht sollten wir uns langsam mal was überlegen?“
„Ähm du, ich glaub ich hab grad einen Wasserrohrbruch…“
„WAAAAS?“
Ich werde sterben, und das am Telefon. Sie ist eine e-Gitarre mit Rückkopplung, eine sorgenvolle e-Gitarre.
„Nein, ich glaub es ist doch kein Wasserrohrbruch, hab mich vertan. Du, ich hab jetzt echt keine Zeit…ich…“ (Bitte, leg auf, ich tu auch alles was du willst!)
„Bitte? Ich reiß mir hier alles auf um das auf die Reihe zu kriegen und du?“ Bitte nein, heul jetzt nicht, bitte! Ich liebe dich Schwesterherz, es wird alles wieder gut, aber wein jetzt nicht. Sie tut es.
„Na wenn dir der Geburtstag von Mama so egal ist…“
Sie legt auf.
Odin, sei meiner Seele gnädig. Nie wieder Alkohol. Mehr Mephisto. Die Reue erklimmt jede Stufe meines Magens mit intensiver Besonnenheit, bis sie den Gipfel meiner Nervenenden erreicht hat. Frische Luft. Ich muss die Fenster aufmachen. Aber vorher die Rolladen hoch. Nur mit Sonnenbrille bewaffnet. Ich ziehe die grauen Leisten drei Schlitze auseinander und werde vom tödlichen, vampirvernichtenden Strahl der Sonntagmorgensonne mitten ins Gesicht getroffen.. Zu gefährlich da draußen. Lieber nicht weiter öffnen. Büßen lässt es sich eh am besten vor dem Fernseher. Hatten die Wikinger auch nicht.
Ich schlafe auf der Fernbedienung ein. Als ich aufwache, läuft QVC, und ich habe das dringende Bedürfnis, den Kenhom-Wok zu kaufen. Der hat eine tolle Teflonbeschichtung, und es gibt sogar Messer dazu. Die mit der besonders scharfen Klinge, mit der man so lange Tomaten schneiden kann, bis die Welt untergeht, ohne dass sie stumpf werden. Ich greife nach dem Telefon und wähle. Das könnte den Tag noch retten. Lieber chinesisch und gesund ernähren als mit spanischem Likör zu büßen. Genau das Richtige. Das ist es, was ich brauche. Ich brauche es wirklich! Grade läuft was über Schmuck, aber die eingeblendete Nummer wird ja wohl die selbe sein. Es klingelt an der Tür. Gleich, ja gleich. Eine hübsche Melodie erklingt am Telefon. Mein Kopf tut schon gar nicht mehr so weh. Ich schlurfe zur Tür, den Hörer zwischen Kopf und Schulter eingeklemmt. Draußen steht Manni in Wikingergewandung.
„QVC, Braun ist mein Name, was kann ich für sie tun?“
Ich starre Manni an. Manni starrt mich an.
„Ähm, ich würde gerne den Kenhom-Wok bestellen…und angstvoll setze ich hinzu: da sind doch auch Messer bei, oder?“
„Wer hat denn dir ins Hirn geschissen?“
brüllt Manni und reißt mir den Hörer weg.
Er knallt die Türe hinter sich zu und wirft den Hörer gegen die Wand.
„Und überhaupt, rasier dich mal, wie siehst du denn aus?“
Er hält die halbvolle Flasche mit dem Ron hoch.
„Die machen wir noch leer, oder? Aber deinen haarigen Bierbauch kannste diesmal eingepackt lassen.“
Wieso sollte ich Identitätsprobleme haben? Nie wieder Alkohol, denke ich. Aber die machen wir noch leer.